Habe ich mich ganz ehrlich auch lange gefragt. Leute, viele in Schützenuniform und mit sehr alten Fahnen, Altersschnitt eher hoch, gehen ein mal im Jahr an irgendeinen Ort, der ansonsten kaum Beachtung findet, ein Kranz wird niedergelegt, Fahne senken, militärisch anmutende Rituale, man gedenkt der Kriegstoten von 1870/71, der beiden Weltkriege, seit ein paar Jahrzehnten auch gefallener Bundeswehrangehöriger, dazu klassische Musik oder eine Blaskapelle. Es gibt ein paar Reden, dann wird die Veranstaltung mit „Weggetreten“ oder etwas ähnlichem beendet. Ein paar Fotos, wie das oben, Kurzmeldung in der Presse, fertig. Auf mich hat das lange wie irgendeine überkommene Tradition gewirkt, etwas verstaubt, fremd, leicht merkwürdig, ein jährliches Ritual, das halt irgendwie erledigt werden muss. Uniformen, Märsche, Blasmusik sind sowieso nicht so mein Ding, beim Gedenken an die deutschen Opfer des zweiten Weltkriegs im speziellen habe ich immer so ein Gefühl sich aufstellender Nackenhaare bekommen.
Was das wirklich ist und soll weiß man dann, wenn man an so einer Veranstaltung 2-3 mal teilgenommen hat. Bei der ersten, weil man da halt als Ratsmitglied standardmäßig eingeladen wird und es unhöflich wäre, nicht aufzutauchen. Die von den anderen Fraktionen gehen ja auch hin. Bei der zweiten, weil man zugehört und verstanden hat. Es geht nicht um eine Verherrlichung des „heldenhaft soldatischen“, des Krieges, der Wehrmacht oder des Militärs generell in irgendeiner Form. Es geht um das Gedenken an die Opfer des Krieges, aller Opfer, egal ob Zivilisten oder Soldaten, egal welcher Nation. Den Gedenktag gibt es seit 1919, seit 1952 als offiziellen Gedenktag. Das ist kein Zufall. Menschen war es nach den Weltkriegen wichtig, der Toten zu gedenken, denn das waren deren Verwandte, Freunde, Kollegen oder Kameraden. Viele waren in den Kriegen gestorben und hatten sie gleichzeitig mitverursacht, waren kriegsbegeisterte Nationalisten oder Täter in der NS-Diktatur. Es geht nicht darum, diese Menschen reinzuwaschen. Es geht darum, daran zu erinnern, was Krieg ist, was Krieg aus Menschen macht. Täter, Opfer, und vor allem Leichen. Das war lange weit weg, Vergangenheit. Heute gibt es täglich Nachrichten über die Front und Angriffe auf Städte und Menschen in der Ukraine, Tote im Gaza-Streifen, Opfer von Bürgerkriegen. Der Krieg ist, auch für friedensgewohnte Mitteleuropäer wie mich, zurück. Und er war auch eigentlich nie verschwunden, nur gefühlt weit weg.
Was dieser Tag will? Zeigen, dass Krieg Opfer produziert, unmenschlich, grausam ist, ein Zivilisationsbruch. Unbedingt zu vermeiden, wenn es irgendeinen Weg gibt. Organisiert wird das dann vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., der sich, ohne dass das groß jemand mitbekommt, eben um Kriegsgräber, Gedenkstätten und solche Veranstaltungen kümmert. Die Schützen sind da, weil sie das sogar quasi als Vereinsziel in der Satzung stehen haben, begleitet vom Ruhstadtorchester, das den Integrationspreis der Stadt erhalten hat, weil es sich für Völkerverständigung, also Kriegsvermeidung, einsetzt – so, wie ein Orchester das eben kann, mit viel J.S. Bach. Deswegen war ich heute zum dritten Mal da, wenn es zeitlich irgendwie passt, auch in Zukunft. Weil Krieg Scheiße ist. Und es nicht verkehrt ist, sich das mindestens ein mal im Jahr kurz in Erinnerung zu rufen. Auch an einem Sonntag um 11 Uhr, was meine Augenringe erklärt. Und es gut ist, dass auch Schützen sehen, dass wir trotz unterschiedlichem Grünton im Grunde so grob gleich über Krieg denken, was wir ohne solche Veranstaltungen nicht voneinander wüssten.
Also: Vielen Dank für die Einladung.
Michael Rotthowe, 16.11.2025
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